26

Am Dienstagabend ging Ashling zu ihrem Salsa-Kurs. Wie schon in der Woche davor kamen auf etwa zehn Frauen ein Mann. Ashling musste mit einer Frau tanzen, die sie fragte, ob Ashling oft herkomme.

»Das ist die erste Stunde«, erinnerte Ashling sie.

»Ach, natürlich, das hatte ich vergessen. Aber ist es nicht schön, ein Hobby zu haben?«

Nach der Stunde eilte Ashling erhitzt und mit roten Wangen nach Hause, um den Anrufbeantworter abzuhören, doch kaum hatte sie die Wohnung betreten, sah sie schon das traurige, blinklose rote Licht. Na gut, blieb noch Mittwochabend - es war noch nicht alles verloren.

Während sie die Küchenschränke nach etwas Essbarem durchstöberte, überlegte sie fieberhaft, ob Marcus ihre Telefonnummer verloren haben könnte. Aber nein. Er hatte sie sich tief in die Tasche gesteckt und gesagt, er würde sie nahe an seinem Herzen aufbewahren. Außerdem war es das zweite Mal gewesen, dass sie ihm ihre Telefonnummer gegeben hatte, was die Chancen, dass er sie verlor, verringerte.

Sie betrachtete ihre Ausbeute: Eine halbe Tüte etwas mürber Tortilla-Chips, eine Packung schwarzer Oliven, vier nicht mehr besonders knusprige Hob-Nob-Kekse, eine eingedellte Dose Ananas, acht Scheiben altes Brot. Ein mageres Ergebnis, morgen würde sie einkaufen gehen müssen.

Sie hatte Heißhunger auf etwas Warmes und schob zwei Scheiben Brot in den Toaster. Während sie wartete, überkam sie ein Gefühl der Frustration und Ohnmacht wegen Marcus. Weil er ein Loch in ihr Leben gerissen und der Hoffnung eine Bresche geschlagen hatte. Sie war zufrieden gewesen, bis er anfing, sie zu belästigen.

Und warum belästigte er sie eigentlich? Nachdem sie ihn auf der Bühne gesehen hatte, betrachtete sie ihn mit anderen Augen. Plötzlich war Marcus Valentine nicht mehr völlig indiskutabel und unmöglich, sondern ein erstrebenswertes Objekt, und sie war sich nicht sicher, ob sie seiner wert war.

Sie hatte eine Scheibe Toast halb verzehrt, als das Telefon klingelte, was einen enormen Adrenalin-Ausstoß verursachte. Sie wischte sich die buttrigen Krümel vom Mund, hechtete zum Telefon und nahm den Hörer ab. »Hallo?«, sagte sie in atemloser Erwartung. Die sofort verpuffte. »Ah, Clodagh, hallo.«

»Bist du zu Hause?«, fragte Clodagh.

»Ehm, was glaubst du wohl?«

»Entschuldigung. Ich meine, kann ich vorbeikommen?«

O nein. Ashlings Stimmung sank auf den Tiefpunkt. Sie sah Schwierigkeiten auf sich zukommen. Das Vorhaben, ihre Eltern anzurufen, verschob sie; es war zu viel, sie ertrug das alles nicht. »Natürlich kannst du vorbeikommen«, versicherte sie Clodagh. »Ich bleibe zu Hause.«

»Ich geh mal auf ein Stündchen zu Ashling«, rief Clodagh Dylan zu, der in dem halb tapezierten Wohnzimmer vor dem Fernseher saß.

»Wieso?«, fragte er überrascht. Es war ganz ungewöhnlich: Clodagh ging abends nur selten aus. Und nie ohne ihn.

Doch bevor er ihr weitere Fragen steilen konnte, hatte sie schon die Tür hinter sich zugeschlagen und setzte den Nissan Micra rückwärts aus der Einfahrt auf die Straße.

»Ich muss mit dir sprechen«, verkündete Clodagh, als Ashling sie in die Wohnung ließ.

»Das dachte ich mir schon«, sagte Ashling verhalten.

»Und ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust.«

»Ich werde es versuchen.«

»He, weißt du, dass da ein Obdachloser vor deinem Haus sitzt?«, fragte Clodagh und wechselte abrupt das Thema. »Er hat hallo zu mir gesagt.«

»Das ist wahrscheinlich Boo«, sagte Ashling lässig. »Jung, braune Haare, lächelt?«

»Ja, schon...« Clodagh wusste nicht weiter. »Kennst du ihn etwa?«

»Nicht besonders gut, aber wir reden manchmal ein paar Takte im Vorbeigehen.«

»Aber er ist wahrscheinlich drogensüchtig! Er könnte dich mit einer infizierten Nadel überfallen - das machen die nämlich. Oder in deine Wohnung einbrechen.«

»Er ist nicht drogensüchtig.«

»Woher weißt du das?«

»Er hat es mir gesagt.«

»Und du hast ihm geglaubt?«

»Wie du siehst.« Ashling war plötzlich verstimmt. »Wenn jemand betrunken oder high ist, merkt man das, wenn man mit ihm redet.«

»Wieso ist er dann obdachlos?«

»Ich habe keine Ahnung«, gab Ashling zu. Es war ihr unhöflich vorgekommen, danach zu fragen. »Aber er ist nett. Eigentlich ganz normal. Und ich könnte es sehr gut verstehen, wenn er trinken oder Drogen nehmen würde. Obdachlos zu sein muss schrecklich sein.«

Clodagh schob im Protest ihre Unterlippe vor, sie war nicht einverstanden. »Ich weiß ja nicht, wo du diese Leute aufgabelst. Aber pass bloß auf, ja? Jedenfalls, ich muss mit dir reden. Ich bin zu einer Entscheidung gekommen.«

»Nämlich?« Wollte sie Anti-Depressiva nehmen? Oder Dylan verlassen?

»Es ist Zeit«, sagte Clodagh und ließ sich auf dem Sofa nieder. Sie machte es sich bequem und sagte wieder: »Es ist Zeit...«

»Wofür?« Ashling platzte fast vor Anspannung.

»... dass ich mir einen Job suche«, beendete Clodagh den Satz.

Damit hatte Ashling nicht gerechnet. Sie hatte sich auf etwas viel Hässlicheres vorbereitet. »Was? Du? Wieder arbeiten?«

»Warum nicht?« Clodagh war in der Defensive.

»Ehm ja, natürlich. Warum nicht? Aber wie kommst du plötzlich darauf?«

»Ach, ich denke schon eine Weile darüber nach. Wahrscheinlich ist es nicht gesund, wenn ich all meine Energie in meine Kinder stecke.« Insgeheim vermutete Clodagh, dass da der Grund für das schreckliche, sie rastlos machende Gefühl der Unzufriedenheit lag. »Ich muss aus dem Haus. Muss wieder unter Erwachsene kommen.«

»Und das ist der einzige Grund, warum du mit mir sprechen wolltest?«, musste Ashling sich vergewissern.

»Was denn sonst?« Clodagh klang überrascht.

»Nichts.« Ashling hätte Dylan verprügeln können dafür, dass er diese Sorgen in ihr geschürt hatte, wo es doch auf der Hand lag, dass Clodagh einfach nur unter Langeweile litt. »An was für einen Job hast du denn gedacht?«

»Ich weiß noch nicht«, gab Clodagh zu. »Es ist mir eigentlich egal. Irgendwas.« Dann fügte sie nachdenklich hinzu: »Obwohl es natürlich schwer sein wird, sich wieder von anderen herumkommandieren zu lassen. Anderen, die nicht meine Kinder sind, meine ich.«

Während Ashling noch dabei war, ihre Stimmung der unerwarteten Wendung der Ereignisse anzupassen, fingen Clodaghs Gedanken an zu wandern. Sie las dauernd von Frauen, die ihr eigenes Unternehmen gründeten und beispielsweise aus ihren Backkünsten ein Konditorunternehmen machten. Oder ein Fitness-Studio für Frauen eröffneten. Oder ihr Töpfer-Hobby in einen florierenden Betrieb umwandelten, in dem sie mindestens sieben oder acht Angestellte beschäftigten.

Es klang immer so leicht. Die Banken liehen ihnen Geld, Schwägerinnen hüteten die Kinder, Nachbarn verwandelten ihre Garage in ein Büro, alle halfen mit. Wenn eine Überschwemmung das Cafe heimsuchte, kam alle Welt und die Großmutter herbei, um sauber zu machen: die Kunden, der Postbote, unschuldige Passanten und jemand, mit dem sich die Heldin überworfen hatte. (Damit war normalerweise das Ende des Zerwürfnisses beschlossen.)

Und diese fiktiven unternehmerischen Frauen angelten sich dabei auch noch einen Mann.

Aber einen Mann hast du schon, erinnerte Clodagh sich.

Ja, aber...

Konnte sie also ihr eigenes Unternehmen gründen? Was hatte sie anzubieten?

Nichts, wenn sie ehrlich war. Sie bezweifelte aufrichtig, dass jemand das essen würde, was sie gekocht hatte. Bei Craig und Molly musste sie all ihre Überzeugungskünste aufwenden, damit sie ihre Mahlzeiten aßen. Und dass Menschen ihr gutes Geld dafür geben würden, in ihrem Restaurant Würstchen aus der Dose und in der Mikrowelle zubereiteten Nudeleintopf zu essen, erschien ihr unwahrscheinlich - auch wenn sie einen Gratis-Kühldienst anbot und auf alle Teller blies, bevor sie die Gerichte servierte. Und den Gästen gestattete, sich die Reste in die Haare zu reiben.

Und was ihre handwerklichen Neigungen anbelangte, nun, so würde sie lieber ein Kind gebären, als zu töpfern. Und wie man ein Fitness-Studio aufzog, wusste sie auch nicht.

Nein, es schien, als müsste Clodagh sich ihr Geld auf konventionellere Weise verdienen.

Und deshalb brauchte sie Ashling.

»Ich wollte dich fragen, ob du mir meinen Lebenslauf tippen kannst«, sagte Clodagh. »Und übrigens, ich möchte nicht, dass Dylan davon erfährt. Wenigstens jetzt noch nicht - es könnte seinen Stolz verletzen. Ich meine, wenn er nicht mehr der einzige Verdiener ist, weißt du?«

Ashling war sich dessen nicht so sicher, aber sie beschloss, nichts zu sagen.

»Gut. Was soll ich unter Hobbys schreiben? Drachenfliegen? SM?«

»Wildwasser-Kanufahren«, kicherte Clodagh. »Und Menschenopfer.«

»Und du bist dir sicher, dass es dir gutgeht?« Ashling musste noch einmal nachhaken.

»Inzwischen schon. Aber um ehrlich zu sein, eine Zeitlang war ich sehr bedrückt. Das hat mich ganz fertiggemacht.«

Vielleicht hatte Dylan doch nicht ein völlig überzogenes Bild gezeichnet, dachte Ashling. Vielleicht hatte er wirklich Grund, sich Sorgen zu machen.

»Aber jetzt weiß ich ja, was ich tun muss«, sagte Clodagh fröhlich, »und es wird sich alles zum Guten wenden.«

»He!« Plötzlich fiel ihr etwas ein. »Dylan hat gesagt, du passt am Samstag auf die Kinder auf?«

Die Maßnahme zur Aufheiterung von Clodagh sollte also trotzdem stattfinden?

»Wir gehen ins L‘Œuf«, sagte Clodagh und bebte vor Freude. »Ich war seit Ewigkeiten nicht mehr aus.«

»Hör mal, was dagegen, wenn Ted mitkommt?« Hoffentlich zerschmetterte Clodagh ihr Ansinnen nicht.

»Ted? Der kleine, dunkle?« Clodagh überlegte. »Meinetwegen, warum nicht? Er sieht harmlos aus.«

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